Spiel des Monats: Vorsicht, leicht zerbrechlich
Es verhält sich wie das umstrittene Natural Born Killers zum konventionelleren True Romance. Oberflächlich erinnert Wrong Number tatsächlich immer wieder sehr konkret an Oliver Stones Medienkritik: Exzessive Gewaltdarstellung und grelle Farben, eine in lose verbundenen Szenen erzählte Geschichte und eine Ästhetik, die die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verwischen lässt. Anders als Stones Film fehlt aber eine offensichtliche Kritik an dem, was so explizit gezeigt wird. Wrong Number ist keine Verurteilung von Gewalt, Krieg oder Medien, es ist lediglich eine überspitzte Darstellung, voller Klischees und Metaphern des Genres.
Die Thematisierung bleibt immer oberflächlich. Das liegt vor allem daran, dass die Autoren nie ihre wirklichen Intentionen offenbaren. Stattdessen verstecken sie sich hinter Ironie. Die Gewalt ist extrem überzeichnet, so dass sie nicht ernst genommen werden kann. Sie findet nie einfach nur statt, sondern immer in einem Traum, einem Drogenrausch, als Szene an einem Filmset oder traumatisch überzeichnete Erinnerung. Dadurch hat nichts was in Wrong Number geschieht ein Gewicht. Und nichts verdeutlicht das so sehr, wie die vielfach kritisierte Szene zu Beginn des Spiels. Eine implizierte Vergewaltigung stellt sich als Teil eines Filmdrehs hinaus - eine billige Provokation, aufgelöst in einen wenig überraschenden Twist. Spielende können nach Kritik selbst entscheiden, ob sie sie sehen wollen oder nicht - wenn es aber egal ist, ob die Szene Teil der Geschichte ist oder nicht, warum ist sie dann überhaupt da?
W rong Numbers zynische und distanzierte Betrachtung erinnert noch an einen anderen Film: Ex Drummer, in dem ein gelangweilter Autor sich auf der Suche nach Inspiration in die Unterschicht begibt. Er genießt die Gewalt, mit der er sich umgibt ebenso wie er sie und alle ihre Akteure verabscheut. Er ist ein Tourist nur zu Besuch in einer Welt, in die er nicht gehört und eben diese Rolle übernehmen die Spielenden in Wrong Number. Ich bin nur ein ungebetener Gast in dieser pixeligen, verschwommenen, in Neon-Licht getränkten Videospielversion von Miami.
Es ist ein Ort ohne eigene Logik, an dem sich alles zu widersprechen scheint. Das betrifft nicht nur die Story, Spielmechanik und Leveldesign sind ebenfalls als Kontraste angelegt. Während sich die Steuerung exakt am ersten Teil orientiert, sind die Levels größer, weitläufiger, undurchsichtiger - so sehr, dass beide Teile wie aus verschiedenen Spielen wirken. Das Durchlaufen eines Levels wird zum Versuch, eine Schraube mit dem falschen Werkzeug lösen zu wollen. Dadurch wird das Spielgefühl selbst ebenso desorientierend wie die erzählte Geschichte.
Schritt für Schritt arbeite ich mich mit der Spielfigur durch die Levels, nur um doch wieder aus dem Nichts erschossen zu werden und von vorne beginnen zu müssen. Der Weg des ständigen hin und her aus Fortschritt und Zurückgeworfenwerden wird von den Blutlachen auf dem Boden skizziert. Vorwärts, vorwärts, vorwärts, und wieder zurück. Wie Sisyphos schieben Spielende den Charakter immer weiter den Berg hoch, auch wenn dieser sie immer wieder hinabschubst.
Für mich ist es ein anstrengender Kraftakt vor dem Bildschirm, aber für die Charaktere ist es die Erfüllung ihrer eigenen Machtfantasien. Die Perspektive der Spielenden bleibt immer die des Touristen, aber niemals die des Protagonisten. Für den Charakter ist es ein nahezu unmöglicher Triumph, im Alleingang hunderte Gegner teils mit den bloßen Händen ermordet zu haben, aber der Mensch mit dem Controller in der Hand sieht die Fäden, an denen alles hängt. Hinter den Kulissen verblasst die Magie, denn auch wenn der perfekte Durchlauf in einem Level beeindruckend aussieht, ist er das Ergebnis von Dutzenden verpatzten Versuchen. Wrong Number ist die Betrachtung dieser Machtfantasie von außen und diese Perspektive offenbart, wie leicht zerbrechlich diese Fantasie ist.
Jeder Tod, der einer unfairen Stelle im Leveldesign geschuldet ist, ist dabei eigentlich eine Demütigung des Spielenden. Die größte Demütigung hält das Spiel aber für den Fall des Erfolgs zurück. Sind alle Gegner getötet, verstummen die treibenden Bässe des Soundtracks und lassen mich allein in dem Blutbad zurück, das ich angerichtet habe. Dieser Gang durch den erfolgreich bezwungenen Level hält mir vor, wie leicht es doch eigentlich war und treibt mich so wieder an, es doch noch einmal zu versuchen.
Vielleicht ist genau das der Grund, aus dem ich Wrong Number immer noch starte. Nicht weil es mir Spaß macht, sondern weil es mich provoziert. Es rempelt mich an, es kratzt an meiner Ehre um herauszufinden, ob ich zurückschlage und mich auf den Kampf einlasse. Bis zum Ende, das ebenso bedeutungslos ist, wie die erste Szene begann: Statt einen Schlusspunkt zu setzen, erscheint der Schriftzug für eine Fortsetzung. Im Menü kann ich jetzt einen höheren Schwierigkeitsgrad auswählen und alle Levels noch einmal spielen. Und noch öfter sterben. Ein weiterer selbstreferentieller Witz und eine weitere Provokation.
Aber ich lasse mir von einem Spiel nicht sagen, was ich zu tun habe.
Ich bin jetzt übrigens im dritten Level des “Hard Mode”.
Daniel Ziegener