Der folgende Text ist ein Gastbeitrag von Agata Góralczyk.
“Oma, warst Du heute schon mal draußen?” “Nein”
“Warum nicht?”
“Deine Mutter hat meine Schuhe versteckt.”
Meine Großmutter litt an Schizophrenie, einer geistigen Erkrankung, die oft eine ganz eigene Logik mit sich brachte. Sie deutete die alltäglichsten Dinge anders: anders als ich, anders als meine Eltern oder mein Bruder. Lange dachte ich, sie würde wirklich was anderes sehen oder hören. So einfach war das aber nicht. Irgendwann wurde mir klar, dass sie die gleichen Phänomene wahrnahm, sie deutete sie nur anders. Diese andere Deutung überforderte sie im Alltag. Die oft von ihr als feindselig empfundene Umwelt wurde von anderen Menschen - von uns allen zu Hause - als unproblematisch erlebt. In ihren Sorgen und Nöten fühlte sie sich oft nicht verstanden, nicht ernst genommen, wurde manchmal sogar ausgelacht. Tagtäglich musste sie mit ständigen, harten Brüchen zwischen der von ihr gedeuteten und der durch die Außenwelt gespiegelten Welt leben. Wie konnte es denn sein, dass mir nicht klar war, dass jemand ihre Schuhe versteckt hatte, um sie am Verlassen des Hauses zu hindern? In der Unfähigkeit, ihre Umwelt so zu deuten wie der Rest von uns, oszillierte sie immer wieder zwischen dem Bedürfnis sich um sich selbst zu kümmern und der Herausforderung sich selbst nicht zu zerstören.