Spiel des Monats

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Ja! Bitte, hier! Ich, ich, ich!”, rufe ich, als mir Sunless Sea verspricht, mich meines Verstandes zu berauben, mich zu ängstigen und mich verzweifeln zu lassen. Ich liebe den Ausflug zum Abgrund. Was wäre da besser geeignet als die Unterzee, ein versunkener Ozean voller Nachtmahre und mannigfaltig Gefahren für Leib und Seele?

In den kleinen Texthäppchen, die ich in den nächsten 20 Stunden immer wieder aufschnappen und zerlesen werde, ist ein Ahnen, ein Locken. Ein Versprechen undeutlich gemurmelter Geheimnisse im Nebel geflüstert. Wenn ich nur weiter spielte, wenn ich vielleicht mehr Geduld hätte, dann eröffnete sich für mich das Grauen bestimmt. Bei aller Vorfreude bin ich des Wartens irgendwann müde.

Natürlich ist das zweite Spiel des Monats eines, das man spielen soll. Als Auftakt zur zweiten Themenwoche auf VGT hier eine Einstimmung und ein paar Gründe, warum Failbetter Games' Erstling ein Ausnahmespiel geworden ist.

Was: Sunless Sea PC, Mac 18,99 €

Wie im Klassiker Pirates steuern wir in Sunless Sea unser Schiff von Hafen zu Hafen, kaufen und verkaufen Waren oder kämpfen mit Seemonstern und Seeräubern. Größter Unterschied: Statt in der sonnigen Karibik sind wir dabei in quasiviktorianischer Zeit unter der Erdoberfläche unterwegs, auf der "Unterzee", einem riesigen Ozean im Erdinneren. Bei unseren Ausfahrten, die uns im Auftrag verschiedener Parteien, aber auch aus purem Entdeckerdrang aufs dunkle Meer führen, müssen wir stets ein Auge auf das körperliche und geistige Wohlergehen unserer Mannschaft haben.

Was wir noch sagen wollten: Unter dem Titel "Gesprächsstoff" sammelt die VGT-Autorenschaft ihre Gedanken zum Spiel des Monats im direkten Austausch, als Abschluss einer Woche zu einem Spiel - diesmal, als Auftakt, war es "The Binding of Isaac". Agata, Christof, Robert, Joe und ich im Gespräch. Wie zu erwarten war, ist es ziemlich länglich geworden.

Rainer: Los gehts! Binding of Isaac ist ein würdiges SdM #1, weil es bemerkenswert ist für mehrere Dinge: die nach Spelunky gelungenste und stilbildende Eigeninterpretation des Roguelike-likes, solides Gameplay, aber auch und vor allem durch den provokanten schlechten Geschmack, der sich durch das ganze Spiel zieht, vom Artwork bis zur Thematik.

Lieber Christof, lieber Rainer,

Welch glückliche Fügung, dass wir uns als erstes Spiel des Monats The Binding of Isaac vorgenommen haben! Als ich meinen Brief an euch ursprünglich verfasst habe, stand die Auswahl noch in den Sternen, nun aber hat es sich ergeben, dass sich die Pfade dieser beiden Serien kreuzen, was es mir erlaubt, mit meinem Beitrag zur monatlichen Diskussion auch unsere weitaus verwirrtere, unstrukturierte Roguelikeschau zu eröffnen. Also: Reden wir über Isaac, reden wir über Religion.

Es gibt ein Leben vor Super Meat Boy und The Binding of Isaac - immerhin macht Ed McMillen seit mehr als anderthalb Jahrzehnten Computerspiele. Die beiden Indie-Bestseller waren kommerzielle und kritische Erfolge nach langen wirtschaftlichen Durststrecken, und mit seiner Hauptrolle in der US-Doku Indie Game – The Movie avancierte der sympathische Bart- und Tattoo-Träger außerdem zu einem Säulenheiligen der Independent-Games-Szene. Schon lange vor dem Erfolg von Super Meat Boy und The Binding of Isaac erprobte McMillen seine ganz spezielle Ästhetik und sein Faible für mal geradliniges, mal absurdes Gameplay in kostenlosen Flashgames; im Folgenden ein kurzer Streifzug durch das Frühwerk eines Ausnahme-Entwicklers.

Agata Góralczyk ist als Langzeitreisende in virtuellen Welten unterwegs. Einmal im Monat schickt sie uns ab sofort eine Postkarte - diesmal aus The Binding of Isaac: Rebirth.

Lieber Rainer, ich möchte Dir diese Postkarte nicht schreiben. Ich möchte niemals in diesen Keller gegangen sein, nicht all diese Scheißhaufen, Schmeißfliegen und toten Kinder gesehen haben. Ich bin nackt und verlassen. Es gibt nur dieses Elend oder den Tod.

"The Binding of Isaac" ist das erste "Spiel des Monats"  auf VGT. Grund genug, selbst in den digitalen Keller zu gehen und von dort gar Schröckliches ans Licht zu zerren. Der folgende Artikel, erschienen am 14.1.2012, war tatsächlich der dritte jemals auf dieser Seite erschienene Text. Bis auf wenige kleinere Kürzungen zu Ehren des ersten "SdM" erscheint er hier nochmals.

Ed McMillen ist so etwas wie das Enfant terrible der Indie-Games-Szene. Neben seinem überaus erfolgreichen Hardcore-Jump'n'Run Super Meat Boy ist der US-Amerikaner vor allem für seine bizarren Themen bekannt. Auch Super Meat Boy, der "kommerziellste" Titel , ist schon etwas abwegig; immerhin ist der Hauptprotagonist des niedlichen, aber hammerharten Reaktionsspiels mit millimetergenauen Sprungeinlagen ein rohes Stück Fleisch mit Kulleraugen, das bei seinen Sprüngen an Wänden und Boden Blutspuren hinterlässt. Als Grafiker, Designer und Animateur ist McMillen für abgedrehte Konzepte und Look zuständig, die Programmierung selbst ist meist in den Händen begabter Kollaborateure, unter anderem in jenen des Innsbruckers Florian Himsl.

The Binding of Isaac, gemeinsam mit seinem kürzlich erschienenen Remake "Rebirth", treibt ein seltsames Spiel mit der Bibel und handelt eigentlich von Kindesmissbrauch. Eine kindlich-groteske Fluchtfantasie mit fast unendlichem Wiederspielwert.

Wie bereits angekündigt rücken wir künftig jeweils in der zweiten Woche des Monats ein Spiel ins Zentrum des Interesses. Diesen Montag geht es los mit allerlei makabren Stimmen aus dem Kellerloch: Wir steigen mit The Binding of Isaac hinab in die Untiefen des Untergeschosses und Bewusstseins von Edmund McMillens gebeuteltem Ziehknaben.

Als Videospiel-Interessierte leben wir zweifelsohne in interessanten Zeiten: Zwischen AAA-Studios und Schlafzimmern werden vielgestaltigere Spiele denn je produziert, an deren Entwicklung uns Modelle wie Kickstarter und Early Access so nahe heranrücken lassen wie nie zuvor. Interessante Zeiten,  schön und gut - aber diese haben, wie uns der große chinesische Weise Robert F. Kennedy erinnert, freilich auch die fiese Eigenschaft, immer ein wenig verflucht zu sein. Und eh - fühlt sich die Vielfalt von Veröffentlichungen nicht tatsächlich zuweilen ein wenig überwältigend an? Beschleicht einen nicht in finsteren Stunden der Eindruck, dass Early Access und Kickstarter lediglich das Erscheinen von Spielen vom elektrisierenden Ereignis zu einem weiteren, dahinplätschernden Teil des Prozesses lobotomisiert haben?

Wir sagen: ja, und aber. Ab Februar kehrt Videogame Tourism jeweils in der zweiten Woche des Monats dem Veröffentlichungskalender den Rücken und widmet sich ganz einem Spiel des Monats, das von den Autoren und Autorinnen gemeinsam gespielt und in einer Reihe von Formen diskutiert wird: Essays, Streitgespräche, Postkarten, alles kann, nichts muss. Und natürlich sind auch die Leser und Leserinnen herzlich dazu eingeladen, an der Konversation teilzunehmen. Auf dass die Zeiten noch interessanter werden mögen.

Die ersten Spiele des Monats sind die folgenden:

09.-15. Februar: The Binding of Isaac (Rebirth)
09.-15. März: Sunless Sea
13.-19. April: Payday: The Heist und Payday 2